Veranstalter:
11:45 Interkulturelles Lernen in Ostdeutschland - Herausforderungen und Perspektiven

Referentin Michaela Glaser

Deutsches Jugendinstitut, Außenstelle Halle

Im Gegensatz zu den anderen Referenten diskutierte Frau Michaela Glaser die spezielle Situation des interkulturellen Lernens in den ostdeutschen Bundesländern. Die besonderen finanziellen, strukturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prägen die Arbeit in diesem Bereich. So mündet beispielsweise der Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, die fehlende Perspektive für Jugendliche möglicherweise in dem Gedanken sich auf der "Verliererseite der Gesellschaft" zu sehen, das befördert dann keinesfalls die Offenheit für Fremde. Es ergeben sich spezifische Herausforderungen für interkulturelles Lernen in Ostdeutschland. Die Arbeit muss sich stärker an der ostdeutschen Migrationsrealität orientieren, da man sich trotz der großen Migrantengruppen aus Polen, Vietnam, Russland und Ungarn in Projekten vorwiegend mit Migranten aus anderen Regionen beschäftigt. Des Weiteren ist es sinnvoll auch mit Gruppen in Gebieten mit einem geringen Ausländeranteil zu arbeiten und vorwiegend von und mit Gleichaltrigen zu lernen. Außerdem ist eine interkulturelle Öffnung der Angebote anzustreben, da immer noch Zugangsbarrieren zu Angeboten der Jugendarbeit für hier lebende junge Migranten bestehen. Damit verbunden ist auch eine Sensibilisierung für den bestehenden Bedarf und eine gesteigerte Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen erstrebsam. Darüber hinaus ist es erforderlich Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen und zu gestalten.

 

Interkulturelles Lernen in Ostdeutschland - Voraussetzungen, Entwicklungs­linien und Perspektiven

von Michaela Glaser
erscheint in: Reiberg, Ludger (Hg.), Berufliche Integration in die multikulturelle Gesellschaft. Belege aus Wissenschaft, Schule und Jugendhilfe zu einer interkulturell sensiblen Berufsausbildung" (im Druck)

Die bundesdeutsche Fachdiskussion zu Interkulturellem Lernen ist weitgehend von einer westdeutschen Perspektive und Problemwahrnehmung geprägt. Obwohl vor allem Pädagogen aus den östlichen Bundesländern immer wieder auf die andersgelagerten Voraussetzungen in diesem Teil Deutschlands verweisen, findet die Situation in Ostdeutschland bisher in Publikationen und auf Fachveranstaltungen zum Thema nur wenig Beachtung. So verwundert es auch nicht, dass Konzepte Interkulturellen Lernens in der Regel von den Gegebenheiten in Westdeutschland bzw. in westlichen Einwanderungsgesellschaften ausgehen und eigenständige, den spezifischen Bedingungen in Ostdeutschland Rechnung tragende Konzeptionen bisher kaum entwickelt wurden.

Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es in Ostdeutschland einer weit verbreiteten Wahrnehmung zufolge kaum Ausländer gibt - weshalb mit Einwanderung und Integration verbundene Fragestellungen und Anforderungen für diesen Teil Deutschlands häufig als wenig relevant erachtet werden. Demgegenüber ist jedoch zu konstatieren, dass auch hier Menschen mit Migrationshintergrund leben, die die Gesellschaft vor Integrationsanforderungen stellen. Darüber hinaus sind Ressentiments gegen "Fremde" kein exklusives Problem von Gegenden mit hohem Migrantenanteil - wie sich gerade am Beispiel Ostdeutschlands zeigt, wo fremdenfeindliche Einstellungen deutlich verbreiteter sind als im bundesdeutschen Durchschnitt. Angeboten Interkulturellen Lernens kommt deshalb auch und gerade mit Blick auf die Mehrheitsgesellschaft für die ostdeutschen Bundesländer eine wichtige Bedeutung zu.

Anliegen des Beitrags ist deshalb eine Situationsbestimmung Interkulturellen Lernens in Ostdeutschland, die wesentliche Voraussetzungen, Entwicklungen und Schwierigkeiten, aber auch Perspektiven und Weiterentwicklungspotenziale dieser Arbeit aufzeigt. Dabei wird sich die Darstellung, entsprechend unserem Forschungsschwerpunkt, vor allem auf Ansätze und Aktivitäten in der Kinder- und Jugendhilfe konzentrieren.(1)

Zunächst werden einige Spezifika von Migration in Ostdeutschland dargestellt, in deren Kontext Interkulturelles Lernen in Ostdeutschland zu verorten ist. Anschließend wird ein Einblick in die bestehende Projektlandschaft gegeben: Es werden Rahmenbedingungen und Voraussetzungen beschrieben, unter denen interkulturelle Bildungsarbeit in Ostdeutschland stattfindet. Neben einer Skizzierung des bestehenden Angebotsspektrums werden - basierend auf Interviews mit Akteur/innen sowie eigenen Projektbegleitungen - zentrale Problempunkte, aber auch erfolgversprechende Ansatzpunkte dieser Arbeit aufgezeigt.

Abschließend werden einige perspektivische Überlegungen zu einer möglichen Weiterentwicklung der interkulturellen Bildungsarbeit in Ostdeutschland formuliert, die den aufgezeigten spezifischen Gegebenheiten Rechnung trägt.(2)

1. Einwanderung in den neuen Bundesländern
Mit einem Bevölkerungsanteil von - je nach Bundesland - 2 bis 2,8% (Statistisches Bundesamt 2004) ist die Zahl der in den östlichen Bundesländern lebenden Ausländer vergleichsweise gering. Diese Prozentzahlen täuschen jedoch darüber hinweg, dass auch in Ostdeutschland, zumindest in bestimmten Regionen, inzwischen nennenswerte Migrantenpopulationen existieren. So ist der offizielle Ausländeranteil in einzelnen Städten inzwischen deutlich gestiegen - bis 2002 in Leipzig z.B. auf 6,3%. Außerdem leben hier viele Spätaussiedler, die aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit in keiner Ausländerstatistik erscheinen, aber unter ganz ähnlichen Bedingungen wie "ausländische" Migranten leben und von der einheimischen Bevölkerung auch als Fremde wahrgenommen werden. Diese und andere eingebürgerte Zuwanderer mitberücksichtigt, kommt z.B. Stendal, eine mittelgroße Stadt in Sachsen-Anhalt, auf einen Migrantenanteil von ca. 8%. Hinzu kommt, dass sich, ähnlich wie in den Altbundesländern, Migranten häufig in bestimmten städtischen Wohngebieten konzentrieren - in den neuen Bundesländern sind dies vor allem die großen, unsanierten Plattenbausiedlungen, die für die einheimische Bevölkerung zunehmend unattraktiv sind. In solchen Siedlungen kann es durchaus vorkommen, dass der Migrantenanteil in einzelnen Jugendeinrichtungen oder Schulkassen bis zu 10, 15 oder auch 20% beträgt. Das spiegelt sich auch in Bezeichnungen wie "Russenviertel" oder "Ghetto" wider, die sich für manche dieser Quartiere inzwischen etabliert haben.

Migration in Ostdeutschland zeichnet sich zudem durch spezifische Bedingungen aus: Zu DDR-Zeiten kamen Ausländer vor allem zu Ausbildungs- und Studienzwecken sowie als zeitlich befristete Arbeitsmigranten aus ärmeren sozialistischen Staaten wie Mosambique, Cuba und Vietnam, aber auch Ungarn und Polen ins Land. Insbesondere die sogenannten "Vertragsarbeiter" lebten von der einheimischen Bevölkerung separiert; über die Arbeit hinausgehende Kontakte gab es kaum und waren von staatlicher Seite auch nicht erwünscht. Nach wie vor sind die Vietnamesen, die größte Gruppe der nach der Wende im Land verbliebenen Ex-Vertragsarbeiter, nur wenig integriert in die ostdeutsche Gesellschaft; die ältere Generation spricht kaum deutsch und lebt sehr zurückgezogen in ihren eigenethnischen Bezügen (Weiss 2005).

Aber auch die heutige Einwanderung nach Ostdeutschland unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von derjenigen in den Westen Deutschlands. So ist Ostdeutschland für viele Migranten nicht selbstgewähltes Ziel der Wanderung, ein Großteil der Neueinwanderer - Asylbewerber, Kontingentflüchtlinge, Aussiedler - kommt infolge administrativer Zuweisungen ins Land. Wegen der mit ihrem Status verbundenen Auflagen (Heimunterbringung, Residenzpflicht, Arbeitsverbot) sind Asylbewerbern jedoch viele soziale und ökonomische Teilhabechancen an der Aufnahmegesellschaft von vorne herein verstellt. Aussiedler sind zwar rechtlich gesehen Deutsche, von den Einheimischen werden sie aber häufig mit den Russen, der oft ungeliebten, ehemaligen Besatzungsmacht, assoziiert. Sie haben nicht selten große sprachliche und kulturelle Schwierigkeiten und männliche Aussiedlerjugendliche gelten in der Jugend- und Sozialarbeit inzwischen als eine der Hauptproblemgruppen. Insofern sind diese Zuwanderergruppen mit je spezifischen Integrationshindernissen und -schwierigkeiten "behaftet", die wiederum das Bild der Aufnahmegesellschaft von Einwanderung und den damit verbundenen Folgen mit prägen.

Ein weiteres Charakteristikum ist die hohe Fluktuation: Aus familiären Gründen, wegen des sozialen Klimas, vor allem aber wegen fehlender ökonomischer Perspektiven ziehen viele dieser Neuankömmlinge, sobald ihr rechtlicher Status es zulässt, weiter in den Westen. Nach Sachsen-Anhalt z.B. kamen von 1998 bis 2001 ca. 10.000. Migranten, fast ebenso viele verließen das Land in diesem Zeitraum wieder (vgl. Redaktionsgruppe Memorandum 2002). Entsprechend seltener und insofern auch im Erfahrungshorizont der einheimischen Bevölkerung weniger verankert sind Beispiele verstetigter, erfolgreicher Integration. Hinzu kommt, dass auch Migranten, die keinen rechtlichen Beschränkungen bei der Wohnungswahl (mehr) unterliegen, sich - wie oben beschrieben - vor allem in bestimmten (städtischen) Gebieten konzentrieren; in ländlicheren Regionen sind Zuwanderer vor allem als temporäre, weitgehend segregiert lebende Bewohner von Aussiedler- und Flüchlingssammelunterkünften anzutreffen, abgesehen davon ist ihre Zahl dort tatsächlich verschwindend gering. Für einen Grossteil der ostdeutschen Gesellschaft sind Beziehungen zu Migranten, die über flüchtige Kontakte hinausgehen und geeignet wären, Vorurteile zu revidieren, deshalb auch nach wie vor die Ausnahme.

Alle diese Faktoren tragen dazu bei, dass Zuwanderer in sozialer, ökonomischer und politischer Hinsicht sehr viel weniger integriert sind als im Westen und damit von Teilen der Mehrheitsgesellschaft auch leichter als gesichtslose "Problemgruppen" wahrgenommen werden bzw. als Projektionsfolie für Ressentiments und Ängste fungieren können.

Insofern ist die Situation in Ostdeutschland auch der beste Beleg dafür, dass eine geringere Anzahl von Zuwanderern deren Integration keineswegs vereinfacht und auch nicht weniger konflikthaft sein muss. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: In den neuen Bundesländern sind fremdenfeindliche Einstellungen fast allen einschlägigen Studie zufolge deutlich stärker ausgeprägt (Gille/Krüger 2000; Heyder/Schmidt 2002) und auch die Gefahr, Opfer rassistischer Übergriffe zu werden, ist erheblich höher als im Westen (Peucker/Gaßebner/Wahl 2003). Neben einer Reihe anderer Gründe, wie den sozialen und ökonomischen Desintegrationserfahrungen nach der Wende sowie bestimmter, aus der DDR-Zeit tradierter Einstellungen und Dispositionen, werden dafür in der Fachliteratur auch die in einer Gesellschaft existierenden bzw. nicht existierenden Alltagserfahrungen mit "Fremdheit" und Zuwanderung als Ursachen genannt (Poutrus/ Behrends/Kuck 2000; Willems/Würtz/Eckert 1998).(3)

Hier kann Interkulturelles Lernen ansetzen und durch Möglichkeiten zur Begegnung und reflektierten Auseinandersetzung mit dem "Fremden", durch Sensibilisierung für Verschiedenheiten, aber auch für Gemeinsamkeiten sowie durch Wissensvermittlung den Abbau von Ängsten, Abwehrhaltungen und Vorurteilen unterstützen - und auf diese Weise einen Beitrag gegen Fremdenfeindlichkeit leisten.

2. Rahmenbedingungen der Arbeit
Die finanziellen Fördermöglichkeiten der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben auch in den östlichen Bundesländern dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren eine vielseitige Projektlandschaft im Bereich "Interkulturelles Lernen" entstanden ist. Die Trägerlandschaft ist hier zwar nach wie vor nicht so entwickelt wie im Westen, doch findet man inzwischen eine Vielfalt vor allem kleinerer Träger, die entsprechende Angebote umsetzen. Aber auch die großen Bildungsträger und Wohlfahrtsverbände engagieren sich, wenn auch weniger ausgeprägt als in den Altbundesländern, in diesem pädagogischen Feld.

Die einzelnen Angebote sind allerdings durch eine geringe Kontinuität gekennzeichnet: Der überwiegende Teil der Maßnahmen wird über Projektfödermittel bzw. den 2. Arbeitsmarkt realisiert, weshalb sie in der Regel auch nur über kurze Laufzeiten und zudem über ungesicherte Zukunftsperspektiven verfügen. Eine Absicherung der entstandenen Angebote durch die Regelförderung erscheint jedenfalls angesichts der Haushaltslage in den neuen Ländern derzeit eher unrealistisch.

Diese Rahmenbedingungen tragen auch zu einem weiteren Charakteristikum Interkultureller Lernangebote in Ostdeutschland bei: Ein recht großer Anteil derjenigen, die die pädagogischen Arbeit umsetzen, verfügt über keine oder nur geringe pädagogische Qualifikationen und Erfahrungen. Viele sind als Quereinsteiger, über Beschäftigungsmaßnahmen oder ehrenamtliche Aktivitäten in dieses Berufsfeld gekommen oder sie sind Berufsanfänger. Die begrenzte Laufzeit erschwert zudem eine Professionalisierung "on the job", d.h. den Erwerb und die Weitergabe von Erfahrungen und Kompetenzen durch die berufliche Praxis. Ein hoher Fort- und Weiterbildungsbedarf ist zwar generell kennzeichnend für die Jugendarbeit in Ostdeutschland, welche in den letzten Jahren zu einem großen Teil über den 2.Arbeitsmarkt realisiert wurde. In der interkulturellen Bildung, diesem vergleichsweise jungen Arbeitsfeld, gilt das jedoch in besonderem Maße.

Da Einwanderung in der öffentlichen Wahrnehmung und im Alltagsleben vieler Ostdeutscher nicht präsent ist, ist auch das Bewusstsein für damit verbundene Anforderungen - und damit auch das Interesse an interkulturellen Themen bei ostdeutschen Pädagog/innen noch weniger ausgeprägt als bei ihren westlichen Kolleg/innen. Projekte, die in diesem Bereich arbeiten, sehen sich deshalb auch immer wieder mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass ihre potenziellen Kooperationspartner - Schulen, Kitas, Ausbildungsstätten - keinen Bedarf an entsprechenden Angeboten für ihre Jugendlichen sehen. "Wir haben hier keine Ausländer, und deshalb haben wir mit sowas auch keine Probleme" - lautet ein in diesem Zusammenhang häufig zu hörendes Argument.

Manche Projekte haben zudem die Erfahrung gemacht, dass ihr Anliegen, Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken, bei Kooperationspartnern auch auf Abwehr und Misstrauen stoßen kann. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass Pädagog/innen ihre Einrichtung bzw. deren Besucher/innen ungern mit solchen Problemen in Zusammenhang gebracht sehen. Angesichts der Tatsache, dass Fremdenfeindlichkeit im öffentlichen Diskurs inzwischen als primär ostdeutsches Problem verhandelt wird - während das Konzept interkulturellen Lernens wiederum als ursprünglich westdeutsches "Produkt" erscheint -, existieren zu dieser Thematik aber auch ausgeprägte Sensibilitäten. Dies kann vor allem dann relevant werden, wenn Projekte bzw. deren Mitarbeiter/innen aus dem Westen kommen. Insofern kommt hier auch eine interkulturelle Ost-West-Dimension zum Tragen, die es bei der Konzeption und Umsetzung solcher Maßnahmen zu berücksichtigen gilt.

Dem Aufbau von Kontakten und der Gewinnung von Kooperationspartnern kommt deshalb in der Projektarbeit oft ein hoher Stellenwert zu. Auch hier wirken sich die Rahmenbedingungen häufig hinderlich aus, denn durch Kurzzeitigkeit und mangelnde Kontinuität wird auch der Aufbau stabiler Arbeitsbeziehungen erschwert - ein Problem, vor das sich projektfinanzierte Arbeit grundsätzlich gestellt sieht, das jedoch in einem so neuen und wenig etablierten Arbeitsfeld von besonderer Relevanz ist.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Einrichtungen, die sehr offen für derartige Angebote sind und auch schon seit einigen Jahren mit entsprechenden Projekten zusammenarbeiten. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen beginnen sich hier auch kontinuierliche Kooperationsbeziehungen herauszubilden. Insgesamt lässt sich also konstatieren, dass in den neuen Bundesländern in Bezug auf Interkulturelles Lernens in der Jugendarbeit ein - wenn auch prekärer - Prozess der Etablierung angestoßen wurde.

3. Angebotslandschaft
Anders als in Westdeutschland, wo Migrant/innen eine der Hauptzielgruppen interkultureller Angebote bilden - sei es in Begegnungsprojekten, in Qualifizierungsmaßnahmen oder bei sozialen Hilfsangeboten - liegt der Focus in Ostdeutschland eindeutig auf der Sensibilisierung von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Dabei gehen die meisten Projekte von der Überlegung aus, dass es der ostdeutschen Gesellschaft an Alltagerfahrung mit Migration mangelt und darin eine zentrale Schwierigkeit für die Akzeptanz von Fremdheit und Zuwanderung liegt. Einen entsprechend hohen Stellenwert haben Begegnungsansätze, die auf den Kontakt mit Menschen nicht-deutscher Herkunft bzw. auf die Schaffung entsprechender Gelegenheiten setzen. Darüber hinaus kommt das ganze Spektrum existierender Ansätze, einschließlich verschiedener Antirassismus- und Diversity-Konzepte, zum Einsatz.

Es lassen sich im wesentlichen drei Lernsettings der Kinder- und Jugendarbeit unterscheiden, in denen Interkulturelles Lernen umgesetzt wird: Seminarangebote, Schüler- und Jugendaustausche, offene Jugendarbeit. Demgegenüber spielt Interkulturelles Lernen in der Jugendverbandsarbeit nur eine untergeordnete Rolle.

3.1. Seminarangebote
Ein Grossteil der Aktivitäten wird als kurzzeitpädagogische Seminare in Kooperation mit Kindertagesstätten und Schulen, Berufsschulen und Ausbildungszentren umgesetzt. Besonders verbreitet sind Projekte, in denen in Deutschland lebende, meist erwachsene Migranten in diese Einrichtungen gehen, um das Gespräch mit den Kindern bzw. Jugendlichen zu suchen und sie durch die persönliche Begegnung zur Auseinandersetzung mit anderen Kulturen sowie mit der Lebensrealität hier lebender Migranten anzuregen.

Neben interkulturellen Trainingsmodulen (z.B. Eine Welt der Vielfalt, Betzavta) wird hier häufig auch mit folkloristischen Elementen wie Trommeln, traditionellen Tänzen oder dem gemeinsamen Zubereiten landestypischer Gerichte gearbeitet - Methoden, die in der Fachwelt einen eher fragwürdigen Ruf genießen und auch immer wieder in der Kritik stehen. Problematisiert wird an dieser "Dönerpädagogik", dass sie ein einseitiges, exotisierendes Bild anderer Kulturen transportiere und bestehende Stereotype eher noch verstärke anstatt diesen entgegenzuwirken (vgl. Schulze 2003). So berechtigt dieser Vorwurf in vielen Fällen sein mag, in seiner Pauschalität wird er dieser Arbeit und den darin auch enthaltenen Lernchancen jedoch nicht gerecht. Die Kritik am "Exotismus" dieser Ansätze übersieht nämlich, dass dieser auch eine andere, für das Gelingen pädagogischer Prozesse wertvolle Funktion haben kann. Denn gerade bei so sensiblen Themen wie Vorurteilen und Rassismus, die ja nicht selten mit starken Abwehrhaltungen besetzt sind, geht es oft zunächst einmal darum, eine grundsätzliche Offenheit bei den Teilnehmern zu erreichen. Hierbei können gerade solche Zugänge, die die Neugier der Jugendlichen durch sinnliche Eindrücke oder Erlebnismöglichkeiten ansprechen und sich dabei auch den Reiz des "Exotischen" zu Nutze machen, besonders erfolgreich sein. Das gilt vor allem für die Arbeit mit bildungsfernen Jugendlichen sowie für Gruppen, in denen ausgeprägte Ressentiments gegen Fremde existieren - Zielgruppen also, die erfahrungsgemäß durch pädagogische Angebote zu dieser Thematik besonders schwer erreicht werden.

Mit anderen Worten: Der Einsatz solcher "Türöffner" kann scheitern und die problematisierten Folgen zeigen, er kann aber auch dazu beitragen, dass sich Teilnehmer erst einmal auf ein Angebot einlassen - und damit überhaupt die Voraussetzung für weitere Lernprozesse schaffen. Entscheidend ist allerdings, dass sich die Auseinandersetzung mit "dem Fremden" nicht auf diese Ebene beschränkt, sondern auch der Einstieg in Formen der Thematisierung gelingt, die differenziertere Sichtweisen sowie reflektierende Lernschritte ermöglichen. Ob dies gelingt, hängt nach unseren Erfahrungen jedoch weit weniger von der Qualität und vom inhaltlichen Zuschnitt eines gewählten Konzeptes ab, als von der persönlichen Kompetenz der Referenten, diese Hilfsmittel zu nutzen, um eine vertrauensvolle und von gegenseitigem Interesse und Respekt geprägte Kommunikation mit den Teilnehmern aufzubauen.

Eine Stärke dieser Begegnungsansätze ist auch das "personale Angebot", das die Referenten mit Migrationshintergrund den Jugendlichen bieten: Anders als Pädagogen, die selbst Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind, können sie authentische Erfahrungen und Meinungen zu Migrationsursachen und Ausgrenzungserlebnissen, aber auch zu Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen "Einheimischen" und "Fremden" vermitteln, was sie in den Augen der Jugendlichen häufig interessant und auch glaubwürdig erscheinen lässt.

Als Kritikpunkt ist dagegen festzuhalten, dass sich diese Ansätze oft noch zu wenig auf die Migrationsrealität in Ostdeutschland, deren spezifische Bedingungen und Erscheinungsformen beziehen. Stattdessen scheinen auch solche Begegnungsangebote nicht selten von der impliziten Annahme geleitet zu sein, dass Ostdeutschland eine Gesellschaft ohne Migranten ist. Dadurch laufen sie jedoch Gefahr, vorhandene Erfahrungen auszublenden - und damit einen zentralen Grundsatz pädagogischer Arbeit zu übergehen: Das Anknüpfen an den alltäglichen Lebenswelten der Teilnehmer. Denn wie eingangs dargestellt, ist es eine verkürzte Vorstellung, dass es in der Lebenswelt ostdeutscher Jugendlicher überhaupt keine Berührungspunkte mit Einwanderung und ihren Folgen gibt. Vielmehr existieren in vielen Fällen Erfahrungen, die nur sehr oberflächlich und einseitig, da durch problematische Bedingungen geprägt, sind. Das macht es umso erforderlicher, solche Erlebnisse und sich damit verknüpfenden Vorstellungen und Wertungen zu benennen und einer Reflektion zugänglich zu machen.

Bei unseren Erhebungen gewannen wir jedoch den Eindruck, dass diese Alltagserfahrungen im Problemhorizont der Projekte häufig überhaupt nicht präsent sind bzw. nicht als mögliche Anknüpfungspunkte für die eigene Arbeit wahrgenommen werden. Dadurch sind diese Begegnungen zum Teil auch von einer gewissen Bezugslosigkeit geprägt: eine Migrant/in von außerhalb kommt in die ostdeutsche Kleinstadt, um dort z.B. vom multikulturellen Alltag in Berlin-Kreuzberg zu erzählen, während die in der Gegend lebenden Migrantengruppen, ihre Lebensumstände und Beziehungen zu den Teilnehmern unberücksichtigt bleiben. So zeigte sich in einem Interview, das wir im Anschluss an ein Projekt mit jugendlichen Teilnehmern führten, dass es in dieser Gruppe Kontakte zu in der Gegend lebenden jugendlichen Aussiedlern gab, die alles andere als konfliktfrei und von sehr negativen Bildern geprägt waren. Diese Erfahrungen, die für die Jugendlichen sehr viel relevanter waren als die mitgebrachten Kurzfilme und Erzählungen aus dem fernen Berlin, kamen jedoch während des gesamten Seminars nicht zur Sprache. Entsprechend kritisch fiel dann auch das Urteil unserer Interviewpartner über die Referenten aus: "Die wissen doch gar nicht, was hier abläuft."

Durch solche Versäumnisse werden die Lernchancen, die solche Seminare bieten können, in mehrfacher Hinsicht unterminiert: Da diese Erfahrungen unthematisiert bleiben, können sie auch nicht bearbeitet werden. Gleichzeitig erscheinen die Referenten als wenig kompetent, den Jugendlichen etwas für ihre Lebenssituation Relevantes vermitteln zu können. Beides trägt dazu bei, daß der Transfer von in diesen Begegnungen potenziell möglichen neuen Erfahrungen und Einsichten in den Alltag der Teilnehmer erschwert wird.

3.2 Internationale Jugendbegegnungen
Jugendbegegnungen und -austausche stellen das zweite bedeutende interkulturelle Lernfeld außerschulischer Jugendarbeit in den neuen Bundesländern dar. Während es in Westdeutschland bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit solchen Begegnungen gibt und entsprechend etablierte und professionalisierte Anbieter existieren, fehlt es in den neuen Bundesländern allerdings an vergleichbaren Traditionen. Zwar wurden auch zu DDR-Zeiten vereinzelt Begegnungsfahrten mit anderen Ländern - größtenteils mit andere sozialistische Staaten, zum Teil aber auch mit westlichen Nationen wie z.B. Frankreich - durchgeführt, doch war es nur eine relativ kleine Minderheit ausgewählter, als systemtreu geltender Jugendlicher, die Zugang zu solchen Angeboten hatten. Diese waren zudem stark von politischen Interessen dominiert und hatten primär ideologische und repräsentative Funktionen, so dass auch in inhaltlich-konzeptioneller Hinsicht wenig Anknüpfungspunkte existierten. Stellt man diese Startbedingungen in Rechnung, dann hat sich in den letzten Jahren ein durchaus beeindruckendes Spektrum von Angeboten, organisiert von Jugendbildungsstätten, Jugendämtern und Vereinen, entwickelt.

Als zentrale Herausforderungen für die weitere Entwicklung lassen sich Punkte benennen, die generell für dieses Feld der Jugendarbeit gelten: Zum einen eine größere Einbindung von Jugendlichen, die nicht aus dem bildungsbürgerlichen Milieu kommen, da Jugendaustausche und -begegnungen nach wie vor allem eine Domäne von Gymnasiasten und Studenten sind; zum anderen ein Ausbau der Aktivitäten mit den Herkunftsländern hier lebender Migranten, die bisher als Zielländer solcher Projekte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Für die neuen Bundesländer sind dies neben Vietnam vor allem Polen, Ungarn und Russland, aus denen die größten dauerhaft hier lebenden Migrantengruppen kommen.

Allerdings berichten Anbieter von Begegnungsfahrten von Schwierigkeiten gerade bei der Realisierung solcher Projekte. Ein Problem ist die wirtschaftliche Situation und geringe Kaufkraft in diesen Ländern, was die Finanzierung von Rückbesuchen der ausländischen Teilnehmer erschwert. Darüber hinaus scheitern Aktivitäten aber auch an der mangelnden Nachfrage deutscher Teilnehmer: Ähnlich wie ihre Altersgenossen in Westdeutschland reisen ostdeutsche Jugendliche nämlich am liebsten in westliche Länder, während der Osten bei Begegnungs- und Austauschmaßnahmen nur auf geringes Interesse stößt. Insofern sind hier auch neue Wege gefragt, um Angebote für die Zielgruppen attraktiver zu machen.

3.3 Offene Jugendarbeit
Im Unterschied zu den bisher genannten Bereichen, in denen interkulturelles Lernen mittels zeitlich befristeter und bewusst gestalteter Lernarrangements angestrebt wird, stellt sich die offene Jugendarbeit insofern als (potenzielles) interkulturelles Lernfeld dar, als sie einen Raum bieten kann, in dem informelle Lernprozesse durch die Begegnung von Gleichaltrigen unterschiedlicher Herkunft stattfinden können.

Anders als in den westdeutschen Ballungszentren, in denen Jugendliche nicht-deutscher Herkunft inzwischen zu den etablierten Nutzergruppen gehören und häufig sogar die Mehrheit der Besucher stellen, stellt sich dabei in Ostdeutschland primär die Aufgabe der interkulturellen Öffnung von Angeboten. Ansätze, Migrantenjugendliche in bestehende Einrichtungen zu integrieren, finden sich bisher jedoch nur vereinzelt; dort, wo sie stattfinden, erweist es sich häufig als schwierig, die Jugendlichen in die Arbeit einzubinden. Zu Hemmschwellen und wechselseitigen Vorbehalten kommt hier sicherlich die - herkunftsunabhängige - Grundschwierigkeit bzw. Charakteristik solcher offenen, stark raumbezogenen Angebote hinzu, neue Mitglieder in bestehende Gruppenstrukturen zu integrieren.

Eine andere, verbreitetere Variante ist der Aufbau von Begegnungsstätten, die von vorne herein eine interkulturelle Zusammensetzung verfolgen. Allerdings fällt es auch diesen Einrichtungen oft schwer, eine interkulturelle Besucherstruktur zu verwirklichen, wobei es hier vor allem die einheimischen Jugendlichen sind, die diese Angebote nicht annehmen. Selbst wenn es gelingt, Jugendliche deutscher Herkunft an solche Orte zu binden, kommt oft ein unterschiedliches Freizeitverhalten zum Tragen, das den Aufbau von Kontakten erschwert. So betrachten Migantenjugendliche diese in sehr viel stärkerem Maße als Treffpunkte, die ein unstrukturiertes, gemeinsames Verbringen von Freizeit in der Gruppe ermöglichen. Autochtone Jugendliche nutzen sie dagegen "ergebnisorientierter". Sie kommen weniger in den offenen Clubbereich, als gezielt zu einzelnen Angeboten - Computerkurse, musische und künstlerische Aktivitäten - die auf eine Vermittlung von Fähigkeiten und Kompetenzen abzielen.

Trotz der genannten Hindernisse sollten diese Ansätze jedoch weiter verfolgt und intensiviert werden. Denn im Unterschied zu anderen Feldern der Jugendarbeit, in denen Interkulturelles Lernen häufig nur in kurzzeitpädagogischen, wenig in den Alltag integrierten Angeboten realisiert werden kann, bieten sie die Möglichkeit, solche Lernprozesse längerfristig und alltagsnah, im unmittelbaren Lebensumfeld der Jugendlichen zu verankern.

3.4 Jugendverbandsarbeit
Jugendverbände gelten generell als das Feld der Jugendarbeit, in dem sich die Realität unserer Gesellschaft als Einwanderungsgesellschaft bisher am wenigsten niederschlägt. Während dieser Umstand in den westdeutschen Verbänden Anlass für eine seit einigen Jahren geführte Debatte um die Möglichkeiten interkultureller Öffnung von Mitgliedschafts- und Verbandsstrukturen ist (vgl. Bundschuh 2003, DBJR 2004), findet eine vergleichbare Debatte in den ostdeutschen Verbänden bisher nicht statt. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass von den Verbandsaktiven kein Bedarf an entsprechenden Initiativen gesehen wird, was teilweise mit der geringen Migrantenzahl begründet wird; im Gespräch mit Verbandsvertretern werden aber auch eigene Hemmschwellen sowie Bedenken erkennbar, die Akzeptanz solcher Aktivitäten seitens ihrer deutschstämmigen Mitglieder betreffend.

4. Fazit und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich auch die Menschen in Ostdeutschland zunehmend mit Integrationsanforderungen infolge von Zuwanderung konfrontiert sehen, dass sich hier jedoch nach wie vor kaum Gelegenheit zu interkulturellem Austausch und Kompetenzerwerb bietet. Das trägt zu einem Klima der Abwehr und der Ressentiments gegenüber Fremden bei. Somit lässt sich gerade für Ostdeutschland ein hoher Bedarf an Angeboten interkulturellen Lernens konstatieren, die auf eine Auseinandersetzung mit Fremdheitserfahrungen und den Abbau von Vorurteilen zielen. Gleichzeitig weist Migration in Ostdeutschland bestimmte Eigenheiten auf, die es bei der Gestaltung interkultureller Angebote zu berücksichtigen gilt.

Trotz schwieriger Rahmenbedingungen, die auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Arbeit haben, hat sich inzwischen eine vielfältige Angebotslandschaft Interkulturellen Lernens in der ostdeutschen Kinder- und Jugendarbeit herausbilden können. Dabei werden z.T. auch Anforderungen aufgegriffen, die sich aus den spezifischen Bedingungen in den neuen Ländern ergeben: So trägt die starke Betonung des Begegnungsaspekts in diesen Angeboten der Tatsache Rechnung, dass es nach wie vor nur geringe bzw. einseitige Alltagserfahrungen mit Migration gibt. Auch wenn die Gefahren von Kulturalisierung oder Folklorisierung bei manchen dieser Ansätze nicht von der Hand zu weisen sind, so spricht doch vieles dafür, dass diese auch spezifische Lernchancen bieten und gelingende pädagogische Prozesse anstoßen können.

Um diese Arbeit noch stärker auf die konkreten Bedingungen und Anforderungen in Ostdeutschland auszurichten, erscheint es allerdings in verschiedener Hinsicht erforderlich, den Alltags- und Lebensweltbezug zu stärken:

Zum einen könnten sich Angebote noch stärker an den Spezifika ostdeutscher Migration orientieren. Das würde zunächst einmal bedeuten, sich über die in einer Region gegebenen Bedingungen zu informieren - bei unseren Erhebungen gewannen wir zum Teil den Eindruck, dass ein entsprechendes Wissen bei Projektmitarbeitern nicht immer ausreichend vorhanden ist. Darüber hinaus wären in den neuen Ländern lebende Migrantengruppen gezielter in die Arbeit einzubeziehen. So gehören Vietnamen zu den am längsten hier lebenden Migrantengruppen, was sich bei der Gestaltung interkultureller Angebote - sei es bei der Auswahl von Referenten, sei es bei Jugendaustauschen - bisher jedoch kaum niederschlägt.

Eine andere Gruppe, die bisher in die Arbeit wenig integriert ist, sind Asylbewerber und Flüchtlinge. Das mag auch daran liegen, dass Aufenthalts- und Unterbringungsbedingungen von Asylbewerbern eine Zusammenarbeit erschweren - zumal gerade bei solchen Projekten besondere Sensibilität geboten ist, um Vorführ- und Mitleideffekte zu vermeiden. Da nicht zuletzt wegen dieser Bedingungen diese Migrantengruppen besonders wenig integriert sind und ihnen gegenüber auch besonders ausgeprägte Ressentiments existieren, ist es jedoch umso wichtiger, sich in diesem Bereich mit pädagogisch sinnvollen Ansätzen zu engagieren.

Noch stärker ausgebaut werden sollten insbesondere auch solche Ansätze, die auf die Möglichkeiten des Lernens durch und mit Gleichaltrigen setzen. Einen interessanten Ansatz, der diesen Gedanken des Peer-Learning mit dem Bemühen um einen stärkeren Alltagsbezug verbindet, bieten hier z.B. Projekte, in denen deutschstämmige Jugendliche gemeinsam mit Jugendlichen nicht-deutscher Herkunft in deren Herkunftsländer fahren (vgl. z.B. Schlichter/Bachhofer 2004). Solche Reisen können nicht nur Einblicke in die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Herkunftsbedingungen hier lebender Migrantenjugendlicher vermitteln, sie bieten auch die Möglichkeit, diese Eindrücke in einer Gruppe Gleichaltriger zu thematisieren und zu reflektieren, mit denen man auch zuhause einen zumindest partiell gemeinsamen Alltag teilt. Außerdem können die jungen Migranten, die in Deutschland häufig marginalisiert sind und, z.B. wegen mangelnder Sprachkenntnisse, als "defizitär" wahrgenommen werden, hier als Sprach- und Kulturmittler fungieren - und so in einer anderen, kompetenten Rolle erlebt werden. Für Ostdeutschland könnten solche Begegnungsprojekte mit Aussiedlerjugendlichen, die zumeist erst seit wenigen Jahren im Land sind und noch sehr enge sprachliche und kulturelle Bindungen an ihre Heimatländer besitzen, eine interessante Option darstellen.

Wenn Interkulturelles Lernen stärker im Alltag verankert werden soll, wird es aber auch darum gehen müssen, existierende Zugangsbarrieren zu Angeboten der Jugendarbeit für hier lebende Migrantenjugendliche abzubauen. Das erfordert zum eine stärkere Sensibilisierung von Anbietern (z.B. Jugendverbänden) für diese Aufgabe; zum anderen könnte hier die Zusammenarbeit mit Migranten(jugend)organisationen, die sich auch in Ostdeutschland zu etablieren beginnen, eine Perspektive bieten.

Zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen interkulturelles Lernen in Ostdeutschland heute stattfindet, gehören nicht zuletzt auch fehlende Ausbildungs- und Arbeitsmarktperspektiven und damit verbundene Ausgrenzungs- und Entwertungserfahrungen, mit denen sich viele ostdeutsche Jugendliche konfrontiert sehen. Das sind zunächst einmal Voraussetzungen, die die Offenheit für "Fremdes" nicht unbedingt fördern. Allerdings können diese Bedingungen auch als Ansatzpunkte für die interkulturelle Arbeit begriffen werden - indem z.B. "Migration" als mögliche Perspektive bzw. Notwendigkeit für die eigene Lebensplanung thematisiert wird. Auf jeden Fall sollten es Projekte vermeiden, über solche realen Befürchtungen hinwegzugehen und stattdessen mit dem moralischen Zeigefinger die Einsicht in den eigenen "Rassismus" und die eigene Privilegiertheit einzufordern.

Mit den hier aufgeführten Punkten sind einige inhaltliche Anregungen zur Weiterentwicklung interkultureller Lernangebote in Ostdeutschland benannt. Entsprechende Überlegungen kommen allerdings nicht an der Tatsache vorbei, dass die meisten Projekte unter sehr prekären finanziellen Rahmenbedingungen realisiert werden. Das setzt bereits heute recht enge Spielräume für die Weiterqualifizierung von Angeboten, sowohl im personellen Bereich als auch mit Blick auf die Kontinuität und institutionelle Einbindung von Maßnahmen. Es bedeutet zudem, dass ein Großteil der Arbeit, der gegenwärtig maßgeblich über befristete Sondermittel des Bundes ermöglicht wird, unter finanziell ungesicherten Zukunftsperspektiven stattfindet. Entscheidend für die Weiterentwicklung Interkulturellen Lernens in den neuen Bundesländern wird deshalb sein, dass nach dem Auslaufen dieser Bundesprogramme alternative Finanzierungsquellen erschlossen werden, die eine Fortführung der Arbeit ermöglichen.

Literatur:
Bundschuh, Stefan (2003) : Abstrakte Solidarität - Konkrete Konkurrenz. Das Verhältnis der klassischen deutschen Jugendverbände zu Jugendorganisationen von MigrantInnen, in: Tarek Badawia/Franz Hamburger/Merle Hummrich (Hg.): Wider die Ethnisierung einer Generation. Beiträge zur qualitativen Migrationsforschung, Frankfurt am Main/London, 326-336.

Deutscher Bundesjugendring (2004): Partizipation verbindet. Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien in Jugendverbänden - Chancen und Herausforderungen. Schriftenreihe des deutschen Bundesjugendring Nr. 40, Berlin

Gille, Martina/Krüger, Winfried (Hg.) (2000): Unzufriedene Demokraten. Politische Orientierungen der 16- bis 29-jährigen im vereinigten Deutschland. Opladen

Heyder, Aribert/Schmidt, Peter (2002): Autoritarismus und Ethnozentrismus in Deutschland: Ein Phänomen der Jugend oder der Alten? In: Klaus Boehnke; Daniel Fuß; John Hagan (Hg.): Jugendgewalt und Rechtsextremismus. Soziologische und psychologische Analysen in internationaler Perspektive. Weinheim/München: S. 119-142

Häussermann, Hartmut (2002), Segregation oder soziale Mischung? Wie ist die Ausländerkonzentration in Städten zu bewerten?, Vortrag bei der Tagung des BBU am 5. September 02 in Berlin (Ms.)

Peucker, Christian/Gaßebner, Martina/Wahl, Klaus (2003): Die Sicht der Polizei: Strukturanalyse fremdenfeindlicher, rechtsextremer und antisemitischer Tatverdächtiger. In: Wahl, Klaus (Hg.): Skinheads, Neonazis, Mitläufer. Opladen: S. 207-258

Poutrus, Patrice G. /Behrends, Jan C. /Kuck, Dennis (2000): Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/2000

Redaktionsgruppe Memorandum (2002): Zuwanderung und Integration in den Neuen Bundesländern. Chancen, Risiken, Aufgaben. Magdeburg: Ausländerbeauftragter Sachsen-Anhalt

Schlichter, Tobias/Bachhofer, Martin (2004): Zurück zu den Wurzeln. Eine Reise nach Kasachstan im Rahmen des Förderprogramms "junik - Jugendliche im internationalen Kontext" der Landesstiftung Baden-Württemberg

Schulze, Florian (2003): Interkulturalität per Döner? In: Stender, Wolfgang/Rohde, Georg/Weber, Thomas (Hg.): Interkulturelle und antirassistische Bildungsarbeit. Frankfurt: S. 177-186

Weiss, Karin (2005): Erfolg in der Nische: Die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. In: Weiss, Karin/Tränhard, Dietrich (Hg.): SelbstHilfe. Wie Migranten Netzwerke knüpfen und soziales Kapital schaffen. Freiburg: S. 69-92

Willems, H./Würtz, St./Eckert, R. (1998): Erklärungsmuster fremdenfeindlicher Gewalt im empirischen Test, in: Eckert, R. (Hg.): Wiederkehr des "Volksgeistes"? Ethnizität, Konflikt und politische Bewältigung. Opladen: S. 195-214

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Vortrag Prof. Dr. Karl-Peter Fritzsche

Referat Birgit Jagusch

Referat Michaela Glaser

Interkulturelles Lernen im Primärbereich
(Workshop 1)

Interkulturelles Lernen in der Jugendverbandsarbeit (Workshop 2)

Möglichkeiten Interkulturellen Lernens in der offenen Jugendarbeit
(Workshop 3)

Außerschulische und schulergänzende interkulturelle Bildungsangebote
(Workshop 4)

Teilnehmer
(mit Kontaktmöglichkeit)

Das Team
(über uns)

Rezepte
(vom Mittagsbuffet)

 

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